thema der Wohnungswirtschaft
N°1 – Der perfekte Sturm

Der Schlüssel zur Zufriedenheit

An einem Morgen Anfang Mai weist die Job-Suchmaschine „Stepstone“ 124 offene Stellen für die Stadt Espelkamp und einen Umkreis von zehn Kilometern aus. Es fehlen ein Projektleiter für den Automotivebereich, ein Elektroniker für den Sondermaschinenbau, eine Leiterin für die Produktionsplanung und Vertriebslogistik und 121 weitere qualifizierte Arbeitskräfte in der ostwestfälischen Stadt mit rund 25.000 Einwohnern.

Laut der Studie „Hidden Champions in Nordrhein-Westfalen“ beheimatete die Wirtschaftsregion Ostwestfalen-Lippe im Jahr 2021 90 von 960 landesweit identifizierten Unternehmen dieser Art, die in der Regel zu den Top-3-Unternehmen in ihrer Branche auf dem Weltmarkt zählen. Dennoch zieht es vor allem wenige jüngere Fach- und Führungskräfte in den Nordosten von Nordrhein-Westfalen. Zu groß scheint für die meisten das Spannungsfeld von innovativen, zukunftsorientierten und gut bezahlten Jobs auf der einen, aber eher ländlichen Lebens- und Versorgungsstrukturen auf der anderen Seite.

Was bewegt die jungen Fach- und Führungskräfte?

Können geeignete Wohnungsangebote die Bereitschaft steigern, in Espelkamp zu wohnen? Und wenn ja, wie müssten solche Angebote aussehen?

Sascha Golnik, Geschäftsführer der Aufbaugemeinschaft Espelkamp, schließt die Eingangstür zum „Welcomehaus“ auf. Er kennt die Antworten auf diese Fragen. Die Aufbaugemeinschaft hat sie vor Jahren denjenigen gestellt, die es am besten wissen: unter 30-jährigen Fachkräften örtlicher Unternehmen.

„Schnelles Internet, Serviceleistungen wie Reinigungstätigkeiten und Handwerkerdienste, Einbaumöbel und gemeinschaftliche Austauschmöglichkeiten standen ganz oben auf der Liste. Potenzielle Nachbarn sollten im gleichen Alter sein, den gleichen Bildungshintergrund und möglichst noch keine eigene Familie haben. Die Zahlungsbereitschaft liegt bei knapp 500 Euro Kaltmiete“, fasst Golnik die Befragungsergebnisse zusammen und betritt dabei das „Welcomehaus“.

Das Bild zeigt eine Frau und einen Mann, die gemeinsam auf einer Dachterasse stehen und in die Ferne auf Gebäudekomplexe schauen.
Quelle: Roland Baege

Seit Dezember 2021 wohnen hier junge Fach- und Führungskräfte in Apartments und Wohnungen der Aufbaugemeinschaft Espelkamp, die ihre Arbeitgeber für sie angemietet haben. Insgesamt 15 sind es, ausgestattet mit schnellem WLAN, Echtholzparkett, großzügigen Badezimmern. Reinigung und Wäscheservice gehören auch dazu, ebenso ein großer Gemeinschaftsraum mit Küche und Dachterrasse und ein Fitnessraum. „Am Anfang war er als Gaming-Raum konzipiert“, erklärt Golnik, „aber wir haben schnell gemerkt, dass das wenig angenommen wird, und umgesteuert.“

Immer mehr Arbeitgeber prüfen, ob spezielle Wohnungsangebote im „war for talents“, dem Kampf um Fachkräfte, einen Standortvorteil bringen können. Für sich selbst, aber auch für die Kommune und die Region, in der das Unternehmen ansässig ist. Denn steigt die Attraktivität eines Standortes, setzt das, so die Überlegung, viele Folgeeffekte in Gang, von denen alle profitieren: wirtschaftliches Wachstum, Innovation und technologischer Fortschritt, erhöhte Lebensqualität.

Über die freistehende Treppe im Eingangsbereich und weitere Etagen sind wir inzwischen im Gemeinschaftsraum im Obergeschoss angekommen. Beim Betreten fallen gleich die großen Fensterfronten auf, durch sie strahlt an diesem Morgen die schon warme Sonne in den hellen und freundlich eingerichteten Raum. Sascha Golnik nimmt kalte Getränke aus dem Kühlschrank der modernen und vollständig ausgestatteten Küchenzeile.

Hier steht noch eine angebrochene Weinflasche im Seitenfach, ich denke mal, dass einige der Bewohnerinnen und Bewohner gestern Abend gemütlich miteinander gekocht haben“, lacht Golnik und stellt Wasser und Säfte auf einen der Hochtische aus hellem Holz.

Bevor wir uns setzen – wir sind mit Mitarbeiterinnen der Firma Mittwald, einem in Espelkamp ansässigen Unternehmen für Webhosting und Internetservices, verabredet – werfen wir noch einen Blick auf die Dachterrasse, die während der Sommermonate mit einem Grill und Loungemobiliar ausgestattet ist, und lassen den Blick über das Quartier an der Ostlandstraße schweifen.

Es klopft an der Tür. Jennifer Epp, Mitarbeiterin Kundenbetreuung bei der Aufbaugemeinschaft Espelkamp, öffnet und begrüßt Janna Zapke, Recruiterin, und Franziska Jäger, Personalentwicklerin bei der Mittwald CM Service GmbH & Co. KG. Mitgebracht haben sie Rita Frey. Sie arbeitet im Mittwald-Kundenservice und bewohnt eine der Wohnungen, die das Unternehmen im „Welcomehaus“ angemietet hat.

Das Bild zeigt sechs Personen (5 Frauen und einen Mann), die gemeinsam an einem Stehtisch sitzen und sich unterhalten.
Quelle: Roland Baege

«Wir möchten neuen Mitarbeitenden ein einfaches und unkompliziertes Angebot machen.»

Im Fokus des Bildes steht Janna Zapke, die eine Frau rechts im Bild anlächelt. Die beiden anderen Personen neben Janna Zapke stehen Unscharf im Vordergrund und werden von hinten abgebildet.
Quelle: Roland Baege

Der Traum vom Silicon Valley in Espelkamp

Im gemeinsamen Gespräch geben Zapke und Jäger Einblicke in die Personalsituation im IT-Bereich und wie das Tech-Unternehmen darauf reagiert. „In der IT suchen die Fachkräfte nicht so lokal“, so Zapke. „Wir möchten neuen Mitarbeitenden daher ein einfaches und unkompliziertes Angebot machen, die Nähe zu unserem Unternehmensstandort und den Zugang zu sozialen Kontakten am neuen Wohnsitz ermöglichen. Denn der Schwerpunkt unserer Arbeit ist schon die Arbeit im Büro, auch wenn wir uns insbesondere durch die Corona-Pandemie stärker mit dem Thema Remote-Arbeit beschäftigt haben.“

Für das Unternehmen mit insgesamt 180 Mitarbeitenden passt das „Welcomehaus“ damit genau. Die angemieteten Wohnungen seien durchweg belegt, berichtet Franziska Jäger, auch weil das Angebot der häufig größten Hürde beim Jobwechel den Schrecken nehme: dem Umzug. Außerdem sei die Geschäftsführung von Anfang an begeistert gewesen und hätte die Idee, Wohnungen im „Welcomehaus“ für neue Mitarbeitende anzumieten, maßgeblich unterstützt. Das sei hilfreich gewesen, als es darum ging, das Projekt bei Mittwald anzuschieben, ebenso wie die Einbindung bei der Konzeption vom „Welcomehaus“.

Das 2006 gegründete Unternehmen, das nach eigener Aussage im beschaulichen Espelkamp seinen Traum vom Silicon Valley lebt, entwickelte für die Personalsuche und Personalentwicklung noch weitere Bausteine. Um junge Talente gleich früh für die eigene Branche zu gewinnen, gründete Mittwald gemeinsam mit anderen Partnern eine Art „Musikschule für IT“, mit einem Kursangebot, das diejenigen adressiert, deren Interesse weit über den Schulunterricht im Fach „Informatik“ hinausgeht. Die Ansprache erfolgt in der Gaming-Szene, also im Kontext von Computer-Spielen. Für nicht so leicht zu besetzende Jobs werden interne Talente gezielt weiterqualifiziert. Außerdem spielt Empfehlungsmarketing eine entscheidende Rolle. „Wenn wir die Leute vor Ort glücklich machen, kommen tatsächlich auch mehr Bewerbungen bei uns an“, berichtet Personalentwicklerin Jäger.

Das Bild zeigt Rita Frey, die gemütlich auf einem Balkon auf Palettenmöbeln sitzt und in die Kamera lächelt. Auf der linken Seite stehen Blumen.
Quelle: Roland Baege

Zuhause auch jenseits der Städte

Auch Rita Frey macht einen glücklichen Eindruck. Die Mittwald-Kundenbetreuerin erzählt begeistert über ihre Wohnung und dass sie nicht nur zum Arbeiten hierhergekommen sei. „Den Standort Espelkamp habe ich zu keinem Zeitpunkt als Showstopper empfunden“, so die 28-Jährige, die vorher in Osnabrück gewohnt hat und an ihrem jetzigen Wohnort die Rastlosigkeit und Unruhe der Stadt in keinem Moment vermisst. Ganz im Gegenteil, sie genießt es, nach Feierabend oder am Wochenende entspannt zum nahegelegenen Spargelhof zu radeln oder auf dem eigenen Balkon die Sonne zu genießen. Durch das Zusammenleben im „Welcomehaus“ sei es ihr auch recht leichtgefallen, sich mit anderen vor Ort zu vernetzen. „Man kommt automatisch in den Plausch“, so Frey, zuletzt habe sie eher aus einem Zufall heraus gemeinsam mit einem Kollegen und einer Kollegin aus China zusammen in der Gemeinschaftsküche gekocht.

«Den Standort Espelkamp habe ich zu keinem Zeitpunkt als Showstopper empfunden.»

Das Bild zeigt eine Frau und einen Mann, die gemeinsam nebeneinander einen Weg lang laufen und sich unterhalten. In der Hand halten beide einen Block und einen Stift. Im Hintergrund ist ein Gebäudekomplex zu sehen.
Quelle: Roland Baege

Freys Freundinnen „aus der Heimat“ sind nach dem gemeinsamen Grillen auf dem Balkon oder der Dachterrasse jedes Mal begeistert – sowohl vom Arbeitgeber der Freundin, der ihr den Zugang zu dieser Wohnung ermöglicht hat, als auch von der Wohnung an sich. Frey lädt uns in ihre Wohnung ein, um sie zu zeigen.

Eine Treppe tiefer bittet sie unsere Fünfergruppe hinein und führt uns durch ihre mit viel Stil und Liebe eingerichtete Wohnung. „Auf den Balkon bin ich besonders stolz“, berichtet sie fröhlich und zeigt uns das Hochbeet mit Basilikum und die Loungemöbel aus Paletten, auf denen gemütliche Polster liegen.

Zuhause auch jenseits der Städte

Wir verabschieden uns vor dem Haus voneinander, Janna Zapke, Franziska Jäger und Rita Frey machen sich auf den Rückweg zu Mittwald, gemeinsam mit Sascha Golnik und Jennifer Epp geht es noch zu einem kurzen Besuch in die Geschäftsstelle der Aufbaugemeinschaft Espelkamp, die in fußläufiger Entfernung liegt. Bei einer Tasse Kaffee sprudelt es aus Sascha Golnik nur so heraus. Auch er habe heute eine Menge Neues und Interessantes erfahren. „Der direkte Vor-Ort-Austausch war mehr als wertvoll, das werden wir auf jeden Fall wiederholen.“ Er entwickelt gleich die nächsten Ideen: „Wären die Baukosten aktuell nicht so hoch, könnten wir eigentlich ein weiteres Welcomehaus angehen. Oder Co-Working-Spaces. Oder eine Azubi-WG. Es wohnen und arbeiten so viele noch nicht in Espelkamp.“

Über die Aufbaugemeinschaft Espelkamp GmbH

• Gegründet 1949

• Gesellschafter: 50 % Land
Nordrhein-Westfalen,
25 % evangelische Kirche,
25 % Diakonie

• 3.043 Wohnungen in der
Stadt (Marktanteil 85%)

• Leerstand 0,3 %, Durch-
schnittsmiete 5,41 €/m²

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