Großwohnsiedlungen zur Erreichung wohnungspolitischer Ziele?
Prof. Dipl.-Ing. Christa Reicher,
ist seit 2018 Professorin für
Städtebau und Entwerfen und Direktorin
des Instituts für Städtebau und Europäische
Urbanistik an der RWTH Aachen.
Der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr bei zugleich „Netto Null“ Flächenverbrauch bis 2050 und hohen Baukosten bringt große Herausforderungen mit sich: Auch die Wohnungswirtschaft steht in der Verantwortung, einen genaueren Blick auf die Bestände zu werfen.
Gastbeitrag von:
Architektin und Stadtplanerin
Chancen und Herausforderungen
Die großen Wohnsiedlungen, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren „am Reißbrett“ geplant wurden, zeichnen sich heute vor allem durch ihre Wohnungsdichte und serielle Bauweise aus. Meist bestehen eine gute Anbindung an das Stadtzentrum sowie großzügige Grün- und Freiflächen, die von den Menschen besonders geschätzt werden. Daneben werden vor allem auch die kurzen Wege zu Versorgungs- und Betreuungseinrichtungen in Umfragen zur Wohnzufriedenheit immer wieder hervorgehoben. Allerdings fällt dabei die Innenwahrnehmung der Quartiere oft deutlich positiver aus als der Blick der Außenstehenden, die meist eher negative Konnotationen äußern: Insbesondere die „monotone“ Architektur- und Formensprache der modernen Bauten ist vielen Menschen ein Dorn im Auge.
Darüber hinaus ist ihr negatives Image auf eine Praxis der medialen Berichterstattung zurückzuführen, die noch immer ein vereinfachtes Bild der Siedlungen propagiert, das vor allem auf Vandalismus und Kriminalität fokussiert und zur Stigmatisierung und Diskriminierung ihrer Bewohnerinnen und Bewohner beiträgt. Zum anderen leiden einige der Großwohnsiedlungen unter Vernachlässigung durch die Vermieterseite, die notwendige Sanierungs- und Renovierungsarbeiten aufschieben.
Für eine langfristig attraktive und nachhaltige Wohnraumversorgung ist der Blick auf den Bestand essentiell – nicht nur, aber besonders auch in Zeiten niedriger Zinsen und hoher Baukosten. Dabei spielen die Großwohnsiedlungen eine wichtige Rolle: Mit über fünf Millionen Menschen (BBSR, 2015) sind sie ein bedeutender Strukturtypus in Deutschland, der eine genauere Betrachtung wert ist.
Einflussfaktoren auf Wohnzufriedenheit und Quartiersimage
Die Studie „Großwohnsiedlungen der Zukunft“ (Ziegler et al., 2023) hat sich dessen angenommen und vier Großwohnsiedlungen untersucht. Zentral war dabei die Frage danach, inwiefern Zusammenhänge zwischen physischen, funktionalen und sozio-geographischen Charakteristika mit Aussagen zur Wohnzufriedenheit und zum Quartiersimage bestehen. Daraus wurden Erkenntnisse zur Transformation bestehender und zur potenziellen Entwicklung neuer Siedlungen abgeleitet. Die Daten erlauben eine intra-urbane Differenzierung genauso wie einen Vergleich der Wohnquartiere untereinander.
Eine zentrale Erkenntnis der Studie besteht darin, dass bestimmte Faktoren der städtebaulichen Gestalt von Großwohnsiedlungen Korrelationen zu deren Wohnzufriedenheit und Image aufweisen. Als besonders förderlich haben sich dabei folgende Charakteristika erwiesen:
- Moderate Gebäude- und Einwohnerdichte oder, bei höheren Dichtewerten, Maßnahmen zur Unterstützung der Verbindung von Privatsphäre und Gemeinschaft
- Kleinteilige und dezentrale Nutzungsmischung, gegenüber Anhäufungen kommerzieller Nutzungen, wie bspw. Shopping-Centern in den Quartiersmitten
- Möglichst hohe Grünraumversorgung und geringe Verkehrsflächenanteile
- Regelmäßige Sanierungsarbeiten und ein gepflegtes Erscheinungsbild
Soziale Verantwortung – im Schulterschluss der Akteure
Die Erkenntnisse der Studie unterstreichen die soziale Verantwortung, die der Vermieterseite in den Siedlungen zukommt: Gerade, weil die physischen und funktionalen Faktoren eine Wirkung auf Wohnzufriedenheit und Quartiersimage entfalten, liegen konkrete Mittel gegen soziale Stigmatisierung und für Wohnqualität in den Siedlungen vor. Hinzu kommt die Verantwortung der privaten und öffentlichen Akteure zur Versorgung der Bevölkerung mit adäquatem Wohnraum, bei zugleich schonendem Umgang mit der Ressource Fläche.
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