
Einfach bauen heißt nicht einfach denken
Florian Dilg war als Leiter einer Taskforce bei der Bundesarchitektenkammer an der Ausgestaltung des Gebäudetyp E beteiligt, wobei er die Schreibweise „Gebäudetyp-e“ vorzieht. Das „e“ im Namen steht für einfach oder experimentell – Ziel ist, beim Bauen künftig auf manche Komfortstandards verzichten zu dürfen und so die Baukosten zu reduzieren. Die Bundesregierung hat die Idee aufgegriffen. In einer digitalen Schalte mit dem VdW erklärt Florian Dilg die Idee und was er von der gesetzlichen Umsetzung hält.
«Der Gebäudetyp-e ist die Befreiung von der zwingenden Einhaltung vieler Regeln.»
– Florian Dilg
Florian Dilg
Diplom-Forstingenieur (FH)
Architekt und Stadtplaner, wurde 1970 in München geboren, machte 1997 sein Ingenieursdiplom in Architektur an der Hochschule München. 2007 gründete er gemeinsam mit Angelika Zwingel das Büro ARCHiTEKTUR: ZWiNGEL/DiLG. Zwischen 2003 und 2007 war er Mitglied des Vorstands der Bayerischen Architektenkammer und Vorsitzender der Taskforce „Gebäudetyp-e“ der Bundesarchitektenkammer.
Es ist Anfang November 2024, ein Tag, bevor die Bundesregierung den Gesetzentwurf zum Gebäudetyp E beschließt und dann am selben Abend zerbricht. Florian Dilg kann davon logischerweise nichts ahnen. Der Architekt ist auf einer Baustelle unterwegs und hat sich gerade in den Baucontainer zurückgezogen, um über sein Handy die Fragen des VdW zu beantworten.
Herr Dilg, wie würden Sie den Gebäudetyp E erklären?
Dilg: Also der Gebäudetyp-e ist auf jeden Fall schon einmal kein Gebäudetyp. Das ist ein Missverständnis, das es oft gibt. Der Gebäudetyp ist ein Planungsansatz, den wir Architekten vorschlagen. Bei diesem Ansatz sind die anerkannten Regeln der Technik und Normen, die auch in den Technischen Baubestimmungen niedergelegt sind, nicht zwingend anzuwenden, solange sie nicht die Schutzziele der Bauordnung, wie etwa die Standsicherheit, gesunde Lebensverhältnisse oder den Brandschutz, betreffen. Der Gebäudetyp-e ist also kein neues Regelwerk, sondern die Befreiung von der zwingenden Einhaltung vieler Regeln.
Worauf ist der Gebäudetyp E denn die Antwort? Warum protegiert die Bundesarchitektenkammer diese Idee so stark?
Dilg: Der Gebäudetyp ist die Antwort auf eine Situation, in die wir in den letzten Jahren oder Jahrzehnten geraten sind: Wir haben uns in ein enges Geflecht verstrickt aus Richtlinien, anerkannten Regeln der Technik und Normen, die allesamt festlegen, wie ein Gebäude erstellt werden muss. Ein großer Teil dieser Festlegungen kommt nicht aus dem Gesetz oder vom Verordnungsgeber, sondern entsteht aus den Bemühungen von Normungsinstituten, Baustoffherstellern und Industrieverbänden, die eigene Standards festlegen. Und diese Standards werden dann von Gerichten und für Gutachten herangezogen, um herauszufinden, was ein Baumangel ist und was nicht. Und damit werden diese Regelungen verbindlich. Dafür waren sie aber eigentlich nie gedacht.

Wofür waren sie denn gedacht?
Dilg: Diese Normen sind ursprünglich technische Empfehlungen. Wenn ich nicht weiß, wie ich etwas baulich umsetzen soll, schaue ich in die Norm. Normen haben ja einen sinnvollen Ursprung: Dass eine Schraube standardmäßig in eine entsprechende Mutter passt zum Beispiel. Aber mittlerweile haben sich diese Normen sehr verzweigt und stellen hohe Ansprüche. Und ihre Gültigkeit erhalten sie durch die Rechtsprechung.
Und wer nicht nach der Norm baut, erzeugt einen Mangel und kann schadensersatzpflichtig werden.
Dilg: Genau – selbst dann, wenn kein Schaden entsteht. Wir aber wollen mit dem Gebäudetyp-e es Fachkundigen ermöglichen, auch einfachere Lösungen als die Empfehlung umzusetzen, wenn sie ihnen einfallen – ohne dass allein durch den Widerspruch zur Norm ein Mangel entsteht. Das ist aber aktuell noch so. Es ist wie, als wateten wir durch einen Pudding, der gerade erkaltet, und blieben darin stecken.
Und eine einfachere Lösung wäre in der Regel dann auch eine günstigere Lösung?
Dilg: Wir haben vor ein paar Jahren mal Laubengänge gebaut über mehrere Geschosse. Dafür, dass diese Laubengänge mit zwei Lagen Bitumenpappe vollflächig abgedichtet werden, wollte eine Firma dann 99.000 Euro haben. Begründung: Es sei ein Flachdach – und die Norm schreibe das vor. Und die Firma wollte nichts anderes als die Norm umsetzen, um nicht für eine mangelhafte Umsetzung haften zu müssen. Wir aber hatten schon ohnehin wasserdichte Fertigteile bestellt und wollten nur die Fugen abdichten. Für uns war der Laubengang kein Flachdach, sondern einfach ein Balkon. Gutachten folgte auf Gutachten, am Ende haben wir unsere Lösung umgesetzt. Die Firma hat dann nur dafür gehaftet, dass die Dichtbänder, die über die Fugen geklebt wurden, ordentlich angebracht sind. So haben wir am Ende mehr als 90.000 Euro gespart.

Forschungsprojekt „Einfach Bauen“
An der Technischen Universität München erforschen Mitarbeitende in den Gebieten Architektur und Ingenieurwesen seit 2012 im Verbund „Einfach Bauen“, wie Wohngebäude in einfacher, robuster Konstruktion und Technik erstellt werden können. In einem Projekt wurden ihre Umweltwirkung und ihre Lebenszykluskosten (inklusive Nutzerverhalten) mit üblichen Wohngebäuden und solche im Niedrigenergiestandard miteinander verglichen.
In Bad Aibling wurden die zunächst aus Simulationen gewonnenen Erkenntnisse in realen Gebäuden umgesetzt. Unter der Leitung von Prof. Florian Nagler wurden drei Prototypen errichtet: eines aus Massivholz, eines aus Mauerwerk und eines aus Leichtbeton. Die aus dem Forschungsbauprojekt gewonnen Erkenntnisse wurden in einem Leitfaden niedergelegt. Schon jetzt steht dem Bauen nach den Prinzipien des Einfachen Bauens im Grunde wenig entgegen. Nur müssen alle am Bau Beteiligten, von Bauherrin/Bauherr über Architektin/Architekt bis hin zur ausführenden Firma dazu bereit sein. Die gesetzliche Einführung des Gebäudetyp E, verbunden mit der Klärung der Haftungsfragen im Privatrecht, kann diese Bereitschaft fördern.
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Mehr Infos zum Projekt „Einfach Bauen“ gibt es unter
Welche Vorschläge haben Sie in der Taskforce erarbeitet?
Dilg: Wir haben erkannt, an welchen Stellen man ansetzen muss, um die Situation zu ändern. Es gibt zwei Ansatzpunkte: Das eine sind die öffentlich-rechtlichen Anforderungen mit den eingeführten Technischen Baubestimmungen. Dort ist beispielsweise das gesamte Berechnungssystem für die Gebrauchstauglichkeit hinterlegt, die nichts mit der Standsicherheit zu hat. Ein Geländer im zweiten Stock wird da quasi so gerechnet, dass es auch nicht wackelt, wenn ein VW dagegen fährt. Bei dem Gebäude hinter uns ist es jetzt beispielsweise das Dachgeländer, das kaum jemand je benutzen wird und das man jetzt mit reduzierter Gebrauchstauglichkeit um 15 Millimeter statt acht nach außen drücken kann. Dadurch sparen wir die Hälfte der Pfosten und Auflager. Runterfallen kann da immer noch keiner. In jedem Projekt gibt es immer wieder solche Ecken mit Sparpotenzial, die man aber vorher nicht kennt – weshalb es auch keinen Rezeptkatalog für den Gebäudetyp-e gibt.
Die Kämpfe müssen Sie aber nicht nur mit den Firmen führen, oder?
Dilg: Bauherrin/Bauherr, Architekturbüro und Ingenieurbüro müssen sich einig sein, auch mal eine Lüftungsanlage wegzulassen, die ausführende Firma, alle müssen darauf eingestellt sein, einfach zu bauen. Nicht das zu bauen, was möglich ist, sondern das, was notwendig ist. Es geht darum, darüber nachzudenken: Was will ich erreichen und was brauche ich dafür? Und wenn ich dann erkenne, dass ich für das Erreichen des Ziels gar nicht alles brauche, was in manchen Normen steht, dann möchten wir, dass man das auch einfacher machen darf.
Und der zweite Ansatzpunkt, den Sie mit Ihrer Taskforce ausgemacht haben?
Dilg: Im privatrechtlichen Verhältnis müssen die am Bau Beteiligten davor geschützt sein, dass sie später durch eine Nutzerin oder einen Nutzer mit einem Mangel konfrontiert werden. Beispielsweise könnten Bauherrin bzw. Bauherr und Planende vereinbaren, dass in einem umgebauten Bestandsgebäude der Schallschutz nur so umgesetzt wird, dass der eine Nachbar die Dusche des anderen von Bad zu Bad noch rauschen hört, um hohen konstruktiven Aufwand zu vermeiden. In so einem Fall müsste diese Beschaffenheit vor Vertragsschluss transparent gemacht werden, ähnlich einem Beipackzettel.
Wir müssen verhindern, dass das Instrument missbraucht wird, um billige Buden teuer zu verkaufen. Ziel ist es, dass die Nutzer später gar nicht wahrnehmen, dass sie in einem Gebäudetyp-e-Haus wohnen, außer dass ihr Mietpreis vielleicht etwas anständiger ist.
Wie zufrieden sind Sie denn mit dem Stand der politischen Umsetzung Ihrer Idee?
Florian Dilg steht auf und bewegt sich mit dem Handy durch den Baucontainer. Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Florian Dilg lag zum Gebäudetyp E nur ein Referentenentwurf des Justizministeriums und ein Leitfaden des Bauministeriums vor.
Gebäudetyp-e zu konkretisieren, eine Art Beispielsammlung für den Umgang mit dem Gebäudetyp-e. Was ich erstaunlich und weitreichend finde, ist der Vorschlag des Bundesjustizministeriums, im Bürgerlichen Gesetzbuch den anerkannten Regeln der Technik die Krallen zu stutzen. Festlegungen, die nicht sicherheitstechnisch relevant sind, wären dann einfach keine anerkannten Regeln der Technik mehr. Das ist schon eine mutige Vorgehensweise. Ich weiß aber natürlich nicht, was davon übrigbleibt. Und man muss natürlich darüber diskutieren, was unter dem Begriff „sicherheitstechnisch“ zu verstehen ist. Die Sicherheit wird oft als Begründung herangezogen auch wenn es um Komfort geht.
Einen Tag später beschließt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf, wonach bestimmte technische Normen und Regeln, wie zum Beispiel solche, die ausschließlich Komfort- oder Ausstattungsmerkmale betreffen, ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht Gegenstand der Leistungspflicht sind und wonach eine Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik unter bestimmten Voraussetzungen nicht als Sachmangel anzusehen ist.
Auch die Länder tun gerade ihren Teil und ändern ihre Landesbauordnungen, um den Gebäudetyp E voranzubringen. Sind sie zufrieden mit der Umsetzung in den Ländern?
Dilg: Da geht es vor allem darum, dass die Abweichungen nicht mehr nur genehmigt werden kann, sondern dass sie genehmigt werden soll. Aber allein durch diese Regelung, die es so bereits seit längerem in Baden-Württemberg gibt, tut sich erfahrungsgemäß wenig. Entscheidend ist die Änderung im Bürgerlichen Gesetzbuch, die sich auf die Haftungsfragen auswirkt.

Es ist ja aber weiterhin so, dass wenn im schlimmsten Fall ein Haus zusammenbricht, auch bei einem Gebäudetyp E noch der Architekt haftet, weil ja das Schutzbedürfnis der Standsicherheit greift.
Dilg: Ganz klar. Wir sind ja nicht aus der Haftung raus. Es ist sogar so, dass wir mehr Verantwortung übernehmen, aber wir haften dann für unsere eigene Planung und nicht für das Nachbilden der Normvorgaben. Jetzt ist es so: Aus Angst vor der Verantwortung, sich selbst etwas auszudenken, machen die Baubeteiligten alles nach Norm. Dann ist man fein raus. Nur baut man immer den Mercedes, obwohl auch ein Golf ausreichen würde.
Die Akku-Anzeige auf Florian Dilgs Handy zeigt an, dass er noch zehn Prozent Ladung hat. Er macht darauf aufmerksam, dass das Gespräch gleich abbrechen könnte.
Denken Sie denn, dass der Gebäudetyp E einen echten Schub fürs Bauen auslöst?
Dilg: Das ist eine spannende Frage. Erst einmal muss man sehen, was vom Gesetzentwurf übrigbleibt. Was wir aber schon jetzt erreicht haben, ist, dass alle über das Problem nachdenken. Dieser Bewusstseinswandel, dass man nicht immer nach Schema F baut, ist schon mal sehr wichtig. Und wenn die Änderungen im BGB kommen, wird sich schon etwas bewegen.
Oft ist es doch auf der Baustelle so, dass Norm-Lösungen aufgrund von Zeitnot übernommen werden.
Dilg: Einfach bauen heißt nicht einfach denken. Hinter einer einfachen Konstruktion stecken oft mehr Arbeit und mehr Gedanken, als wenn man mit einem industriellen Standardsystem baut.
Sie selbst bauen ja bereits für viele Unternehmen und Genossenschaften der sozial orientierten Wohnungswirtschaft. Da wird aber doch schon jetzt mit Abweichungen gearbeitet, oder?
Dilg: Genau da kommt es auch her. Wir bauen gerne für Genossenschaften, weil wir da einen Partner haben, der so etwas mitträgt. Dieser Teil der Wohnungswirtschaft ist bestrebt, günstig zu bauen, weil sich daraus direkt die Kostenmiete ableitet. Das sind Bauherren, die fachkundig sind und die selbst auch die Immobilie behalten und nicht an jemanden veräußern, der kritisch auf jeden Mangel schaut. Und auch die Bewohnerschaft ist eine, die ganz bewusst in ein gemeinschaftliches Projekt einzieht. Damit sind schon mal die wichtigsten Weichen für kreative Baulösungen gestellt. Doch immer wieder müssen wir Baufirmen davon überzeugen, einfacher zu bauen. Weshalb sollte man immer wieder darüber Diskussionen und Streitigkeiten haben? Und warum sollten es andere nicht auch machen?
Ein Prozent verbleibt auf der Anzeige von Florian Dilgs Handy. Gerade noch genug, um das Gespräch freundlich zu beenden. Der Akku der Ampelkoalition ist einen Tag später hingegen aufgebraucht, die Bundesregierung zerbricht. Ob es der Gesetzentwurf zum Gebäudetyp E noch in dieser Legislaturperiode durchs Parlament schafft ist unsicher.
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