Auf der Suche nach Wärme

Drei massive Trucks rollen im Namen der Wärmewende über die Straßen von Nordrhein-Westfalen. Ihre Mission: Tiefenerdwärme finden. Ihre Methode: Vibration.
Anhaltendes Dröhnen bricht an diesem Sommermorgen die ländliche Idylle im Kölner Osten: Drei massive Trucks drängen langsam über den Dellbrücker Mauspfad. Sie nehmen fast die gesamte Breite der schmalen Landstraße ein, die durch Wald und Felder führt und die Kölner Stadtteile Brück und Dellbrück verbindet. Ein feiner Duft von verbranntem Öl und Benzin liegt in der Luft.
Jetzt halten die grauen Maschinen an. Langsam senkt sich eine ein mal drei Meter große Metallplatte über eine Hydraulik an der Unterseite der Trucks auf den Asphalt. Die Trucks stemmen sich ein paar Zentimeter in die Höhe. Und dann beginnt unter dröhnendem Lärm die Straße zu zittern.
Was einem bedrohlichen Szenario gleicht, soll in Wirklichkeit dazu beitragen, das Weltklima zu retten. Unter der Leitung von Dr. Tobias Fritschle, Projektmanager beim Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalen (GD), wird mit diesen Vibro-Trucks im Rahmen einer 2D-Pilotseismik nach Tiefenerdwärme gesucht. Wo sie gefunden wird, kann später ein Geothermiekraftwerk gebaut werden, das möglicherweise hunderte Haushalte mit klimaneutraler Wärme versorgt. Und so klimaschädliches Erdgas und Öl als Energiequelle überflüssig macht.

«Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen»
– Dr. Tobias Frittschle
Schallwellen und Geophone
„Die Trucks senden Schallwellen in den Untergrund, die dann von den verschiedenen Gesteinsschichten reflektiert werden. Diese Reflexionen werden von sogenannten Geophonen an der Oberfläche aufgefangen und aufgezeichnet“, erklärt Fritschle. Auf diese Weise wird ein detailliertes zweidimensionales Bild der Gesteinsschichten in vier bis fünf Kilometern Tiefe erstellt. Das Verfahren nennt sich Vibrationsseismik. Diese Forschung ist steuerfinanziert, die Daten werden potenziellen Investoren – wie etwa Stadtwerken – kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Doch was genau sucht der GD hier? Fritschle zeigt auf eine Karte, die die Verteilung von Karbonatgestein in NRW darstellt. „Wir suchen nach natürlichen Hohlräumen, sogenannten Karstzonen, in denen sich Thermalwasser ansammeln könnte“, sagt er. Diese Zonen, in denen das Wasser zirkuliert und sich erwärmt, seien entscheidend für die geothermische Nutzung. „In ganz Nordrhein-Westfalen gibt es potenzielles Thermalwasser, es liegt nur in unterschiedlichen Gesteinsschichten“, berichtet er, während er auf ein Ultraschallbild zeigt, das den Untergrund der Region darstellt. Rote Linien deuten auf mögliche Reflektoren hin, aber Gewissheit, ob warmes oder gar heißes Wasser im Untergrund vorhanden ist, zeigt erste eine Tiefbohrung.
Die Vibro-Trucks haben ihre großen Rüttelplatten in der Zwischenzeit wieder eingefahren und sich langsam in Bewegung gesetzt. Jan Rakowski begleitet wie Fritschle die schweren Fahrzeuge. Der erfahrene Mechaniker aus Polen sichert die vibrierende Wanderbaustelle ab. Rakowski arbeitet seit 30 Jahren mit solchen Vibro-Maschinen, hat in Ländern wie Indien, Iran und Syrien gearbeitet – „very hot“, sagt er lachend über Indien. Jetzt, bei einer privaten Firma angestellt, kümmert er sich um die Wartung der Fahrzeuge, wenn sie nicht im Einsatz sind. „Früher war das mehr Arbeit, jetzt ist es entspannter“, sagt er mit einem Grinsen. Auch sein Sohn ist heute hier, er fährt einen der Trucks. Eine seltene Gelegenheit, dass Vater und Sohn gemeinsam an einem Projekt arbeiten.

«Wenn das erste Kraftwerk steht, folgen schnell weitere»
– Dr. Tobias Frittschle
Herausforderung: Kommunikation
Der Lärm der Vibro-Trucks, das Brummen der Motoren, die Vibrationen, die den Boden zum Zittern bringen – all das ist Teil eines komplexen Prozesses, der im Hintergrund von vielen Menschen geplant und koordiniert wird. Für jeden Streckenabschnitt muss eine neue Genehmigung eingeholt, immer wieder müssen Baustellenschilder aufgestellt werden.
Tobias Fritschle zeigt auf der Tageskarte, welche Strecke heute befahren wird und welche Nachbarschaften informiert wurden. Denn das ist mindestens genauso wichtig wie die Technik: die Kommunikation mit der Bevölkerung. „Wir müssen frühzeitig aufklären, damit bei den Bürgerinnen und Bürgern keine Vorbehalte gegen Geothermie entstehen“, sagt Fritschle. In Köln-Brück und den anderen Untersuchungsgebieten wurden die Anwohner daher persönlich informiert, Flyer verteilt und Postkarten verschickt.
Vor dem Münsteraner Dom oder auf dem Schadowplatz in Düsseldorf wurden die Trucks bereits ausgestellt, um das Interesse der Bevölkerung zu wecken und sie so zu informieren. Das komme gut an, wie Dr. Fritschle betont. Dabei wird den Anwohnerinnen und Anwohnern auch erklärt, dass sichergestellt wird, dass keine Schäden an ihren Häusern hinterlassen werden.
Einer der Arbeiter hat deshalb ein Schwingungsmessgerät dabei und überprüft die tatsächliche Stärke der Schwingungen. Denn diese können von der Messstelle neu eingestellt werden und dürfen nur so stark sein, dass sie bestehende Bauwerke nicht gefährden. Auf dem Boden befinden sich Markierungen, die dafür sorgen, dass Messungen in Bereichen von beispielsweise Brücken oder Kanalisation ausgelassen werden.
Die Landesregierung NRW hat im April 2024 einen Masterplan Geothermie beschlossen.
Ziel: Förderung der Tiefengeothermie in NRW als Beitrag zur Energiewende. Bis 2045 sollen ca. 20 Prozent des Wärmebedarfs in NRW durch Geothermie gedeckt werden.
Langfristige Vision: Aufbau einer nachhaltigen Energiequelle durch Nutzung der Erdwärme und Positionierung von NRW als Vorreiter in der Geothermienutzung.
Umfang: Der Masterplan erstreckt sich über einen Zeitraum von fünf Jahren (2022–2027) und umfasst eine umfassende geologische Kartierung und seismische Untersuchungen in NRW.
Investitionen: Das Land NRW investiert insgesamt rund 80 Millionen Euro in den Ausbau der Tiefengeothermie.
Förderung: Neben der Fündigkeitsversicherung unterstützt der Plan gezielt Forschung und Entwicklung sowie den Aufbau einer neuen Infrastruktur.
Planungssicherheit: Erleichtert Investitionen durch klare rechtliche Rahmenbedingungen und standardisierte Verfahren für Genehmigungen und Explorationen.
Schwerpunkte: Fokus auf tiefe geothermische Reservoire im Rheinland und Münsterland.
Weitere Strecken folgen
Die drei monströsen Fahrzeuge weckten das Interesse einer Radfahrerin und eines Radfahrers. Sie halten an, der Mann fragt neugierig, was hier vor sich gehe. Fritschle erklärt geduldig die Funktion der Geophone und den untersuchten Streckenverlauf. „Ist die Region grundsätzlich geeignet?“, fragt der Mann. Tobias Fritschle antwortet vorsichtig: „Wir können nur sagen, dass die Voraussetzungen gegeben sind, dass die passenden Gesteinsschichten da sind.“ Genaueres weiß man eben auch hier erst nach einer Bohrung.
Am Ende des Tages, nachdem die Trucks ihre Arbeit beendet haben, fahren sie zum Parkplatz zurück. Die Messungen sind noch lange nicht abgeschlossen. Weitere Strecken in NRW, unter anderem in Dinslaken und Aachen, folgen. Die Daten, die heute gesammelt wurden, werden monatelang analysiert, bevor sie schließlich von Geophysikern und Geologen analysiert werden, die sie dann wie ein Puzzle zusammensetzen.
Das Vibro-Projekt ist Teil einer größeren Strategie des Landes NRW zur Förderung der Geothermie. „Wenn das erste Geothermiekraftwerk steht, dann folgen schnell weitere“, prognostiziert Fritschle. Die Voraussetzungen seien vielversprechend, aber es bleibe ein langer Weg. „Es gab bisher nur sehr wenige Tiefbohrungen in NRW“, erläutert Fritschle. Eine davon fand auf dem Gelände der Kölner Messe statt – mit Erfolg, es wurde tatsächlich Thermalwasser gefunden. Die vibrierenden Giganten schaffen die Voraussetzung dafür, dass demnächst auch woanders gebohrt wird.

Ähnliche Artikel

- Das Thema
Einfach machen
Das Komplizierte ist in Deutschland normal. Gerade auf das Bauen trifft dieser Satz zu. Denn die Normen für den Wohnungsbau sind zahlreich und kompliziert, sie einzuhalten ist technisch anspruchsvoll und immer teurer geworden. Inzwischen ist jedoch auch in der Politik der Wunsch zu spüren, zu einfachen Regeln zurückzukehren. Gerade beim Bauen. Einfach ist etwas dann, wenn nur wenige Faktoren zu seinem Entstehen beigetragen haben und das Zusammenspiel der Faktoren durch wenige Regeln erklärt werden kann. Soweit die Definition von Wikipedia. Das Bauen fällt in Deutschland definitiv nicht in diese Kategorie: Dem Deutschen Institut für Normung (DIN) zufolge gibt es derzeit etwa 35.000 DIN-Normen, 3.900 davon sind für das Bauen relevant, davon wiederum 350 speziell für den Geschosswohnungsbau. Und die Entwicklung scheint nur eine Richtung zu kennen: Seit 2008 sind etwa 750 baurelevante Normen hinzugekommen, eine Steigerung um circa 25 Prozent – auf die eben genannten 3.900. Das Problem an komplizierten Regeln ist nicht nur, dass sie zum Teil schwierig zu verstehen sind, sie sind in der Regel auch teuer in der Umsetzung, zumindest beim Bau von Wohnungen.

- Unterwegs
Wohnen geht in Serie
Ein Mehrfamilienhaus aus vorgefertigten Modulen wie Legosteine aufeinandersetzen: Ein einfaches Prinzip senkt die Kosten und verringert die Bauzeit. Entwickelt sich eine neue Technik gerade zum Gamechanger im Geschosswohnungsbau? Ein Besuch vor Ort. Ein offener Modulrahmen reiht sich an den nächsten. Es wird gesägt, getackert und geschweißt. Funken fliegen, mit Robotern werden Fenster durch die Halle transportiert. In einer 500 Meter langen Fabrikhalle mitten auf dem Land, zwischen Kuhweiden und kleinen Wäldchen, in Friesenhagen bei Siegen entsteht gerade ein Mehrfamilienhaus. Christoph Zielinski, Leiter Geschosswohnungsbau bei der ALHO Systembau GmbH, führt eine Gruppe Interessierte, darunter VdW-Mitarbeiterin Jennifer Rickmann, durch die Halle und erklärt die Technologie hinter der modulbasierten Bauweise. Zunächst werden Metallrahmen für Böden und Decken konstruiert und ausgefacht. Die Boden- und Deckenrahmen werden über Eckstützen miteinander verbunden. So entsteht die tragende Stahlrahmenkonstruktion, in die später die exakt passenden, vorkonstruierten Holzwände eingelassen werden – inklusive Dämmung, Leitungen und Rohre. Durchgänge werden ausgespart. Zum Schluss werden die Fenster eingebaut. Fertig ist das Modul, das später auf der Baustelle mit seinen Artgenossen kombiniert wird, in flexibler Anordnung. „Die modulare Bauweise ermöglicht es uns, nicht nur schneller, sondern auch flexibler und nachhaltiger zu bauen“, sagt er, während er auf die laufenden Maschinen zeigt, die an den entstehenden Raummodulen arbeiten. Mit Modulen kennt sich das Familienunternehmen aus, seit mehr als 55 Jahren stellt es auf diese Art Gebäude her. Die modulare Bauweise verspricht eine Antwort auf insbesondere zwei Schwierigkeiten zu sein, denen Bauherrinnen und Bauherren sich bei Neubauten gerade ausgesetzt sehen: die Baukosten sind hoch, und die Bauzeit ist lang.

- Aussenansicht
Einfach schön?
Großwohnsiedlungen und die dazugehörigen großmaßstäblichen Geschosswohnbauten, die in vielen europäischen Städten seit den Sechziger- und Siebzigerjahren errichtet wurden, haben das Negativbild von serieller und modularer Architektur nachhaltig geprägt. Die Ansammlung von oft als trist und monoton empfundenen, standardisierten „Betonburgen“ mit geringer Nutzungsmischung und vorgelagerten Parkplatzflächen ist Synonym für einen fehlgeleiteten Wohnungs- und Städtebau geworden. Doch ist das serielle, modulare und systemische Bauen von damals vergleichbar mit dem von heute? Die technischen und gestalterischen Möglichkeiten von heute unterscheiden sich maßgeblich von denen der Vergangenheit. Der Fortschritt in der Fertigungstechnologie sowie die Verbesserung der architektonischen Planungsansätze eröffnen ein weites Spektrum an Gestaltungs- und Nutzungsspielräumen, die auch den weitreichenden Klimazielen entsprechen. Die Digitalisierung spielt hier eine entscheidende Rolle, denn dank moderner Planungstools lassen sich heutige Serien und Systeme in vielfältiger Weise bereits miteinander kombinieren, anpassen und variieren. Diese Flexibilität ermöglicht eine große Bandbreite an architektonischen Formen und Erscheinungsbildern, die sich auch städtebaulich in Bestandsquartiere individuell einfügen können. Verschiedenartige Fassaden-, Wand- und Deckenelemente und -materialien, Farben und Strukturierungen, aber auch der Einsatz von vielfältigen Vor- und Rücksprüngen, Balkonen oder Loggien führt zu einer heterogenen Gestaltung. Die serielle Produktion von Gestaltungselementen in unterschiedlichen Detaillierungsgraden und Maßstäben ist heute längst fester Bestandteil architektonischer Gestaltung geworden – ob im Neubau oder Umbau.

- Fachwissen
Die Geschichte einer einfachen Idee
Strom vom Dach den Mieterinnen und Mietern zukommen lassen. Klingt einfach. Doch ein Blick in §42 c des Gesetzes „zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Bereich der Endkundenmärkte, des Netzausbaus und der Netzregulierung“ zeigt: Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung umzusetzen, ist komplizierter, als es zunächst den Eindruck macht. Wie aus einer einfachen Idee ein etwas aufwendigeres Konstrukt wurde. Wenn die Sonne scheint, wird Wäsche gewaschen. Für viele Eigenheimbesitzende mit Photovoltaikanlage auf dem Dach ist das Alltag. Denn in dieser Zeit bezahlen sie für den Strom keinen Cent, er wird schließlich von der eigenen Anlage produziert und fließt direkt in den Haushaltsstromkreislauf. Über die Jahre rechnet sich die Anschaffung einer solchen Anlage in der Regel. Was bei Eigenheimen funktioniert, muss doch auch bei vermieteten Gebäuden funktionieren, dachte sich nicht nur der Gesetzgeber. Auch die sozial orientierte Wohnungswirtschaft setzte sich für die Umsetzung dieser einfachen Idee „Strom vom Dach für den Haushalt ohne viel Aufwand“ ein. Mit dem so genannten Solarpaket, mehreren Gesetzesinitiativen, die den Ausbau von Photovoltaik-Anlagen beschleunigen sollen, führte das Bundeswirtschaftsministerium deshalb die „gemeinschaftliche Gebäudeversorgung“ ein. „Mehr Solarstrom, weniger Bürokratie“ überschrieb das Ministerium die Pressemitteilung Ende September 2024, nachdem der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hatte, in dem auch die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung geregelt ist. Ein geringes Maß an Bürokratie? Michel Böhm, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, ist davon nicht zu 100 Prozent überzeugt. Böhm hat an zwei Leitfäden zur Umsetzung der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung mitgeschrieben. „Im Gegensatz zu Mieterstrommodellen ist die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung wirklich einfacher zu händeln. Ein Wohnungsunternehmen muss jetzt nicht mehr alle Anforderungen an einen Energieversor